KLIMANEUTRALITÄT

Dekarbonisierung goes East

15.12.2021 - Die zentralasiatischen Länder Kasachstan und Usbekistan setzen ebenso wie die EU-Nachbarin Ukraine auf das Geschäft mit erneuerbaren Energien. Im Osten öffnen sich für deutsche Unternehmen damit neue Märkte. Auch Russland hat vor der COP26 in Glasgow das Ziel Karbonneutralität bis 2060 ausgegeben – ein wichtiges Zeichen mit wirtschaftspolitischer Signalwirkung.

Erneuerbare Energien sollen in Osteuropa und Zentralasien ausgebaut werden.

Auch wenn der Energiesektor in den kommenden Jahrzehnten noch weitgehend von Kohlenwasserstoffen dominiert wird, besteht heute kein Zweifel daran, dass der Trend zur globalen Dekarbonisierung fortgesetzt und die Wirtschaftsmodelle der Öl- und Gasindustrie-Länder umgekrempelt werden. Diese Absichten wurden im Vorfeld der Klimakonferenz in Glasgow bestätigt, darunter auch von Ländern wie Russland und Kasachstan. Dies kann im Kontext des internationalen Kampfes gegen den Klimawandel als äußerst wichtiges Signal angesehen werden: Die führenden Öl- und Gasproduzenten sind in die klimapolitische Agenda eingestiegen, obwohl ihr sozioökonomisches Wachstum in hohem Maße vom Export und dem Verbrauch von fossilen Energieträgern abhängt.

„Die Steppenflächen Kasachstans haben ein enormes Potenzial für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Unser Land hat 2009 begonnen, diesen Sektor aktiv zu entwickeln und heute beträgt der Anteil erneuerbarer Energien an der Energiebilanz bereits 3 %. Wir beabsichtigen, diesen Indikator zu erhöhen, und dies wird zweifellos der Haupttreiber auf dem Weg zur Klimaneutralität werden. Um ein so ehrgeiziges Ziel zu erreichen, müssen die Anstrengungen aller interessierten Gruppen der Gesellschaft gebündelt werden. Eine besondere Rolle kommt dabei Umweltverbänden und -organisationen zu: Sie beteiligen sich nicht nur an der Erarbeitung beispielsweise relevanter Rahmenbedingungen, sondern informieren und motivieren vor allem die Bevölkerung, sich aktiv für eine nachhaltige Entwicklung und Energiewende einzusetzen.“

Aigul Solovyova, Vorstandsvorsitzende, Association of Environmental Organizations of Kazakhstan (AEOK)

Zentralasiatische Länder auf Klimakurs

Kasachstan gehört zu den Ländern, die am meisten davon betroffen sind. Trotz mehr als 70 % Kohle im Energiemix hat sich Kasachstan für eine „grüne“ Wirtschaft und eine aktive Umweltpolitik entschieden. In energieintensiven Sektoren werden jährlich Energieeffizienzmaßnahmen eingeführt. Es soll ein schrittweiser Kohleausstieg und Ausbau erneuerbarer Energien erfolgen.

Klimaneutral will Kasachstan bis 2060 werden. Das ist ziemlich ambitioniert, aber um dieses Ziel zu erreichen, wurde bereits ein konkreter Aktionsplan ausgearbeitet. Es geht um die Doktrin zur Klimaneutralität bis 2060, die grundlegende Ansätze für eine kohlenstoffarme Transformation in Wirtschaft und Industrie vorsieht. Unter den spezifischen Maßnahmen sind folgende zu erwähnen: Verzicht auf neue Kohleerzeugungsprojekte, steiler Anstieg des Anteils erneuerbarer Energien in der Stromerzeugung, Sortierung von Siedlungsabfällen, Elektrifizierung des Personenverkehrs und Realisierung des Wasserstoffpotenzials. Die Umsetzung dieser Vorhaben ist ohne ausländische Investitionen und Technologien nicht denkbar.

Eines der Vorhaben unter deutscher Beteiligung hat gigantische Dimensionen: 45 Gigawatt Wind- und Solarleistung wollen der deutsch-schwedische Investor und Projektentwickler SVEVIND gemeinsam mit der kasachischen Invest National Company JSC in Kasachstan errichten. Hinzu kommt ein Elektrolyseur, der mit einer Leistung von 30 Gigawatt Wasserstoff erzeugen soll. Wird das Projekt realisiert, dürfte es eines der größten Wind-Solar-Wasserstoff-Kraftwerke der Welt werden.

Auch Usbekistan, der südliche Nachbar von Kasachstan, hat seine Klimapläne auf der COP26 konkretisiert: Bis 2030 will das Land an der Seidenstraße seine CO2-Emissionen um 35 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 2010 senken. Das soll mit dem Anstieg erneuerbarer Energien erreicht werden. Bis 2026 soll die Gesamtkapazität der Solar- und Windkraftanlagen des Landes auf 8000 Megawatt gesteigert werden. Der Ausbau von Wind und Sonne wird in Usbekistan über Ausschreibungen geregelt, die eine langjährige Stromabnahme in der Regel über 35 Jahre garantieren. Aktuell will unter anderem der saudi-arabische Entwickler ACWA Power in der Republik Karakalpakistan einen Windpark mit 1,5 Gigawatt Leistung bauen. Daneben gibt es weitere Großprojekte in Planung.

Bis 2050 will Usbekistan zudem auf eine CO2-neutrale Stromproduktion umstellen. Ein Konsortium internationaler Experten hat mit einer Roadmap erforderliche Policy-Maßnahmen, Technologien und Investitionsbereiche vorgeschlagen.

Subventionen machen schwache Länder noch schwächer. Daher sollte bei der Entwicklung von Energiepolitik immer ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen der Höhe der gezielten Subventionen für gefährdete Bevölkerungsgruppen und der Einführung öffentlicher und privater Programme für grüne Finanzinstrumente angestrebt werden, die Dekarbonisierung, den Übergang zu grüner Energie, die Entwicklung sauberer Energie und die Energieeffizienz fördern und gleichzeitig positive wirtschaftliche Auswirkungen haben werden. Darüber hinaus gehen saubere Energie und Energieeffizienz Hand in Hand. Mehr als 30 % des Marktes für erneuerbare Energien in der Ukraine wird von internationalen Unternehmen aus verschiedenen Teilen der Welt repräsentiert. Leider hat sich das Investitionsklima in der Ukraine in den letzten zwei Jahren erheblich verschlechtert, was mit einem Abfluss von Investitionen nicht nur in erneuerbare Energien einherging. Daher sind die nationale Sicherheit und das Investitionsklima eine Priorität für das Land, was die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der internationalen Verpflichtungen erfordert.“

Oleksandra Gumeniuk, Direktorin, European-Ukrainian Energy Agency (EUEA)

Ukraine: Nach dem Erdgas kommt der Wasserstoff

Eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 65 % bis 2030 im Vergleich zu 1990 und Klimaneutralität bis spätestens 2060: Das sind die Ziele, die die Ukraine in ihrem aktualisierten national festgelegten Beitrag (NDC) angekündigt hat. Außerdem hat sich das Land der Powering Past Coal Alliance (PPCA) angeschlossen und den Ausstieg der staatseigenen Betriebe aus der Kohleverstromung bis 2035 deklariert. Der größte private Energieversorger des Landes, DTEK, ist ebenfalls der PPCA beigetreten, allerdings mit einem anderen Datum für den Kohleausstieg – 2040. Das Unternehmen liefert derzeit etwa 90 % der gesamten ukrainischen Kohle und betreibt etwa 75 % der ukrainischen Wärmekraftwerke. Im Wesentlichen liegt der endgültige Kohleausstieg der Ukraine in den Händen eines Privatunternehmens. Daher bedarf es umfangreicher Schritte, vor allem ist die Schaffung von Rahmenbedingungen für den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien und die Etablierung eines wettbewerbsfähigen Marktes essentiell.

Das Potenzial ist groß: Vor allem im Südosten des Landes und am Schwarzen Meer sind die Bedingungen für Wind und Sonne ideal. Obwohl in den letzten Jahren der Ausbau erneuerbarer Energien in der Ukraine immer wieder hinter den hohen Erwartungen zurückgeblieben ist, gibt es inzwischen einige Erfolge zu verzeichnen: Der Anteil von Solar-, Wind- und Bioenergie an der Gesamtbilanz der Stromerzeugung betrug im Zeitraum Januar bis November 2021 8,4 %. Die Stromerzeugung aus diesen Quellen ist im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Jahr 2020 um 15,9 % gestiegen. Rechnet man die Wasserkraft dazu, verzeichnete die Ukraine in den 11 Monaten 2021 einen Erneuerbaren-Anteil von 15,3 % an der Gesamtstromerzeugung.

Auch der Ausbau des Wasserstoff-Potenzials ist ein neues Ziel. Das Land bietet gute Voraussetzungen für den Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft, denn die Gasspeicher und Pipelines, die bisher den Transit von russischem Erdgas nach Europa ermöglichen, lassen sich mit vergleichsweise wenig Aufwand für Wasserstoff umrüsten. Eine dena-Umfrage im Juni 2021 hat ergeben, dass verschiedene Unternehmen schon konkrete Pläne für den Einstieg in die Wasserstoffproduktion in der Ukraine verfolgten.

„Aus meiner Sicht ist es äußerst wichtig, dass Russland zusammen mit anderen Ländern auch das Ziel der CO2-Neutralität (bis 2060 oder früher) bekannt gegeben hat. Allein die Tatsache einer solchen Ankündigung sowie die Verabschiedung einer langfristigen kohlenstoffarmen Entwicklungsstrategie zeigen, dass das Klima-Thema in Russland ernster genommen wird. Insbesondere wird darüber nachgedacht, wie die russische Wirtschaft dekarbonisiert und wie ihre Struktur geändert werden kann, indem sie auf „grüne“ Schienen der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung umsteigen. Momentan ist die Low-Carbon-Strategie eher allgemein formuliert, aber ich denke, dass detailliertere Berechnungen und konkrete Pläne noch kommen werden. Es ist wichtig, dass Energieeffizienz erwähnt wird – für Russland ist und bleibt dieses Thema von zentraler Bedeutung, sowohl in Bezug auf den Energieverbrauch als auch auf die Reduktion der CO2-Emissionen. Es wäre wünschenswert, ehrgeizigere Pläne zum Ausbau erneuerbarer Energien in verschiedenen russischen Regionen zu sehen. Schließlich ist es äußerst relevant, sich mit dem Thema der Senkung des CO2-Fußabdruckes durch die Wälder auseinanderzusetzen.“

Angelina Davydowa, Journalistin, Herausgeberin der Zeitschrift „Ökologie und Recht“

Neue Töne zu Herausforderungen des Klimawandels aus Russland

Auch Russland gehört zu den Ländern, die Karbonneutralitätspläne bis 2060 verwirklichen wollen, was bei der UN-Konferenz in Glasgow bekräftigt wurde. Das ist eine durchaus bemerkenswerte Trendwende, denn zuvor positionierte sich die russische Regierung bisweilen als skeptischer Beobachter bei Fragen des internationalen Klimaschutzes und nicht als aktiver Gestalter.

Derzeit hat die Regierung des Landes bereits eine neue Strategie für eine kohlenstoffarme Entwicklung verabschiedet. Im Zielszenario wird davon ausgegangen, dass bis 2050 die Treibhausgasemissionen um 60 % gegenüber dem Niveau von 2019 und um 80 % gegenüber dem Niveau von 1990 reduziert werden.

Auch wenn verschiedene westliche Beobachter die Klimapläne aus dem Kreml kritisch sehen, stellt die Germany Trade & Invest (GTAI) fest: „Russlands Industrie wird grüner“. GTAI bewertet im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz internationale Märkte für deutsche Unternehmen. Besonders die russische Industrie stemme nach Auskunft von GTAI derzeit milliardenschwere Investitionen, um Fixkosten zu senken und staatliche Auflagen zu erfüllen. So bestehe ein enormer Bedarf an Filter- und Reinigungstechnik sowie an neuen Verfahren zur Abfallverwertung und effizienten Energieversorgung.

Grund für die neu entdeckte grüne Seele in Russland ist auch ökonomischer Druck: Setzt Europa seine Pläne für einen CO2-Grenzausgleichsmechanismus um, wäre das Land besonders stark betroffen. Russland ist der größte Energielieferant der EU, gleichzeitig werden Öl und Gas dort besonders CO2-intensiv gefördert.

Internationaler Zusammenhalt in der Umsetzungsphase bedeutsam

Der weltweit wachsende politische Konsens über die Notwendigkeit einer Energiewende, die auf erneuerbaren Quellen und energieeffizienten Technologien basieren soll, gibt eine gewisse Hoffnung für das Gelingen. Die Transformation des globalen Energiesektors muss aus wissenschaftlicher Perspektive erforscht und von Herstellern innovativer technologischen Lösungen umgesetzt werden.

Dieser Dreiklang aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft soll allen Ländern die Partizipation an der globalen Energiewende ermöglichen. Trotz erheblicher Unterschiede, auch in Bezug auf Investitionen und technologische Möglichkeiten, wird internationaler Zusammenhalt helfen, solche vielversprechenden Pläne zu verwirklichen und nicht in der Umsetzungsphase aufzugeben.

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